Die Kanonen von Iserlohn

Rückblick von Manfred Kirchhoff

1863 – In diesem Jahr beginnt das Kanonen – Zeitalter des IBSV und die Zeit der gemeinsamen Schützenfeste des Kavallerie – Corps und des zu Fuß marschierenden Infanterie – Corps. Vermutlich auf Grund des Zusammenschlusses schenkten die 6 Vorstandsmitglieder der Kavallerie dem Verein 6 Kanonen.

Die 6 Kanonenrohre waren aus schwerem Gußeisen und trugen als Verzierung unter anderem das Wappen der Stadt Iserlohn. Diese Böllerkanonen (Vorderlader) dienten dazu, das Schützenfest zu eröffnen und an den Festtagen die Bevölkerung frühmorgens zu wecken. Das Böllern wurde unterhalb des Pulverhäuschens abgehalten. Im Laufe des Jahres waren die Kanonen in einem eigens gebauten Kanonenschuppen auf der Alexanderhöhe untergebracht. Hier waren nicht nur die 6 Kanonen sondern auch das komplette Fahrgeschirr für 36 Pferde untergebracht.

Wenn im Schützenzug die erste unserer Kanonen 4-spännig gefahren wird, kann man erahnen, wie imposant der Anblick der sechs Gespanne gewesen sein muß.

Die 6-er Gespanne wurden von Iserlohner Fuhrunternehmern und später vom Militär gestellt. Während des 2. Weltkrieges verlor das Artillerie – Corps beim Einzug der Besatzungstruppen sämtliche Kanonen und die herrlichen Pferdegeschirre.

Nach dem Krieg gelang es einigen Artilleriekameraden, drei der auf der Alexanderhöhe vergrabenen Kanonenrohre wieder ans Tageslicht zu befördern. Innerhalb kurzer Zeit wurden diese Rohre auf vorhandene Achsen montiert und ein Stellmacher baute daraus die heute noch fahrenden Kanonen. Diese Vorderlader wurden in den 50-iger Jahren noch regelmäßig zum Böllerschießen zu Beginn des Festes und zum Wecken am Samstag und Sonntag genutzt. Hierzu dienten die Wiesen unterhalb der heutigen Fachschule am Pulverhäuschen als Böllerplatz.

Da die Kanonen zum Böllern mit Papier verdämmt wurden, sahen die Wiesen nach dem Böllern wie eine Schneelandschaft aus.

Diese Tatsache, so wie der ungeheure Lärm der 3 Kanonen, veranlaßte das Artillerie – Corps Ende der 50-iger Jahre eine neue, für die damalige Zeit hochmoderne Böllerkanone anzuschaffen, welche mit Schwarzpulver geladen wird und die Umwelt nicht mehr belastet. Die Anschaffung wurde im Schreiben vom 09.03.1959 beim IBSV Vorstand beantragt. Die Bestellung erfolgte am 13.04.1959 bei der Firma Georg Schöllkopf in Ulm zum Preis von DM 860,00 abzüglich 5 % Rabatt. Die Auslieferung erfolgte rechtzeitig zum Schützenfest 1959.

Von da an fand das Böllern am Freitagnachmittag unterhalb des Pullverhäuschen statt und seit einigen Jahren am Danzturm.

Da man in unserem Land nicht mehr einfach losböllern kann, ist es notwendig, Böllermänner ausbilden zu lassen. Am 26.10.1964 belegte Otto Schmidt einen Böllerlehrgang an der Bergschule Siegen. Im Jahre 1967 war aus der Bergschule eine Bergbaufachschule geworden und der Böllerschützenlehrgang war auf 2 Tage vom 07.10. – 08.10.1968 gewachsen. Teilnehmer war unser heute noch amtierende Hauptwachmeister Udo Weydekamp. Otto und Udo übten Ihren verantwortungsvollen Dienst bis zum Schützenfest 1984 aus, bei dem sie Ihr Amt an Ihre Nachfolger übertrugen. Im Jahre 1983, am 8.10. ließ die ARI vier neue Böllermänner ausbilden, und zwar an der mittlerweile sogenannten Beruflichen Schule für Technik in Siegen. Es waren die die Kameraden: Ernst-Rudolf Dalberg, Detlef Gösser, Manfred Kirchhoff und Wolfgang Pfeifer. Ernst Dalberg und Manfred Kirchhoff führen diese Tätigkeit seit 20 Jahren aus und erklärten im Jahre 2004 Ihren Rücktritt, da inzwischen zwei junge Kameraden, Johannes Brunswicker & Sebastian Petereit, ihren Böllerschein gemacht haben.

Da sich die beiden Herren aber noch einer studentischen Tätigkeit widmen, mußte der Rücktritt von Ernst Dalberg & Manfred Kirchhoff bis auf weiteres ausgesetzt werden. Zu erwähnen ist noch, daß die Schule in Siegen mittlerweile Berufskolleg Technik des Kreises Siegen – Wittgenstein heißt und mit der Länge des Namens auch die Ausbildungskosten gestiegen sind. Was aber geschah mit den drei älteren Schwestern von Paulinchen?

Und da ist noch ein Traum
„Paulinchen sorgte sich um ihre drei älteren Schwestern: Minchen, Trinchen und Bienchen.

Denen ging es gesundheitlich nicht allzu gut, denn es fiel ihnen beim Schützenfest 1974 schwer, die Räder voranzukriegen. Bienchen mußte sogar im Bett bleiben, weil sie den Kanonenarzt brauchte, ehe sie wieder laufen konnte.

Da es aber keine Kanonenkrankenkasse gibt, war es leider nicht möglich, die erheblichen Beschwerden durch eine entsprechende Behandlung bei Dr. Kanoni zu kurieren, obwohl jeder weiß, daß eine frühzeitige Behandlung Schlimmeres verhindern kann.

Das Rezept des Dr. Kanoni war auch schon ausgestellt: 2 – 3 kräftige Finanzspritzen.
Die Zeit hat jedoch gezeigt, daß dieses Rezept nicht eingelöst werden konnte, obwohl Paulinchen in ihrem Traum Wege entwickelt hat, die diese Behandlungskosten hätten decken können.

Doch Träume können Wirklichkeit werden.

Minchen, Trinchen und Bienchen sind verschieden. Die Zeit hat sie dahin gerafft.

Aber etwas ist von ihnen erhalten geblieben: die Rohre der Vorderlader, die Seele einer jeden Kanone. Diese Seelen haben all die Jahre einen neuen Körper, die Lafette, gesucht. Jahrelang sind sie umhergeirrt, hierhin und dorthin gewandert. Es mag auch einmal etwas Passendes gegeben haben. Jedoch fern der Heimat, in der Fremde, wollten sie auch nicht bleiben, da ihr Herz einzig und allein dem IBSV gehört. Irgend jemand in der Artillerie muß ihr Flehen gehört haben. Jedenfalls wurde in der Artillerie der Gedanke geboren, neue Körper für die wandelnden Seelen zu erbauen, damit diese wieder eine neue Heimstatt haben.

Zum Schützenfest 1985 konnte daher einer Seele ein neues Zuhause gegeben werden, für Minchen, Trinchen oder Bienchen. Wir wissen es nicht.

Auch wenn diese neue/alte Kanone der Artillerie auf den Namen Elke getauft ist, so bedeutet dies nicht ein Abwenden von der Vergangenheit, denn bei der Seelenwanderung wird ein neuer Körper gesucht, in dem es sich gut wohnen läßt; jedenfalls ist das bei Kanonen so.

Nunmehr wünschen sich Paulinchen und Elke nichts sehnlicher, als daß die beiden noch „freien“ Seelen ebenfalls einen neuen Körper finden, wobei sie sich vorstellen, daß dies zum Jubiläumsjahr möglich sein müßte.

Das auch heute noch gültige Rezept des Dr. Kanoni zeigt, wo der Weg lang geht (gehen muß).

Es war einmal ein Traum
In einem Fall ist er Wirklichkeit geworden, in den anderen könnte er es noch.

Und da ist noch ein neuer Traum
Wie wäre es, wenn die Kanonen im Jubiläumsjahr der ARI (1988) vierspännig fahren würden?

Dies wäre doch eine schöne Entschädigung für Minchen, Trinchen und Bienchen für die Jahre der Heimatlosigkeit.“

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Der erste Teil des Traums hatte sich also erfüllt. Horst Wildförster – Chef der Artillerie von 1984 bis 1990 – hatte einem der Kanonenrohre eine Lafette gespendet und sie so wieder fahrbereit gemacht. Da Kanonen bekanntlich nur weibliche Namen tragen, wurde sie auf den Namen „Elke“ getauft. Auch die beiden verbliebenen Kanonen wurden bald wieder fahrbereit gemacht.

Im Zuge dieser Instandsetzungsarbeiten wurden die Kanonen soweit umgerüstet, daß sie wahlweise entweder von Treckern oder von Pferden gezogen werden können.

Im Jubiläumsjahr 1988 wurden die historischen Kanonen wieder mit Pferden angespannt; die erste 4-spännig, die beiden anderen 2-spännig. Damit war auch der zweite Teil des Traums in Erfüllung gegangen.

Heute sieht es so aus, daß die 3 alten Kanonen immer reparaturanfälliger werden. Hinzu kommen noch die enorm gestiegenen Kosten für Stellmacher und immer schärfere gesetzliche Bestimmungen, die zu einem das Belegen der Holzräder mit Vollgummirand, zum anderen die Ausrüstung mit moderner Bremsanlage erforderlich machten.

Zum diesjährigen Jubiläumsfest der Ari sind die Aufbauten aller drei Kanonen restauriert worden.
Unser derzeitiger Chef – Martin Brunswicker – hat sich der Kanone erbarmt, die eine Reparatur am nötigsten hatte. Die Sitzbank, der Auftritt und die Verkleidung der Lafette waren morsch und mußten komplett erneuert werden. Dem guten Vorbild folgend, wird diese neu herausgeputzte alte Kanone auf den Namen „Beatrix“ getauft und im Jubiläumszug wieder mit dabei sein.

Die Kosten sind auf lange Sicht von der ARI nicht allein zu bewältigen. Das Problem wird mit Sicherheit auch nicht geringer, wenn der Ari zwei neue historische Kanonen übergeben werden sollten, so wie es unser Oberst Horst Fischer angekündigt hat.

Aber es wird auch in Zukunft so bleiben, daß Paulinchen stolz am Samstagmittag der Iserlohner Bürgerschaft laut und klar verkünden, daß der IBSV einen neuen König hat.